HAUSFÜHRUNG #6, April 2024

Rundgang

BRÜCHE im Berliner Exil: Flucht, Mut und Verantwortung in der zeitgenössischen Kunst im Haus Kunst Mitte

Liebe Freund:innen des Haus Kunst Mitte,

in der sechsten Ausgabe unserer Reihe HAUSFÜHRUNGEN setzen wir das dreiteilige Format zur Ausstellung „BRÜCHE – Künstlerinnen und Künstler im Berliner Exil“ fort, die Anfang 2024 im Haus Kunst Mitte gezeigt wurde. Diese Ausstellung widmete sich den vielschichtigen Erfahrungen von Künstlerinnen und Künstlern im Exil. In dieser Ausgabe liegt der thematische Fokus auf den zentralen Begriffen Flucht, Mut und Verantwortung, die in eindrucksvollen Installationen und Videoarbeiten verarbeitet wurden.

Ahmed Ramadan, Spuren II-V, 2021, Straßenabdruck auf Papier, Courtesy of the artist © Michael Lüder

Ahmed Ramadan setzte sich in seiner Werkserie „Spuren II–V“ mit seiner eigenen Fluchtroute zwischen Syrien und Deutschland auseinander. In diesen Arbeiten nahm er originale Abdrücke von Wegen und Straßen an verschiedenen Grenzübergängen auf. Die Werke markieren den Anfang seiner fortlaufenden Bildserie „Spurensicherung“. Ramadan schafft es, individuelle Erinnerung und kollektive Fluchterfahrung in künstlerische Formen zu überführen. Die Topografie des Weges wird zur Dokumentation des Exils.

Sofiia Holubeva, Denjenigen, die laufen, 2022, Serie, Druck auf Leinwand, Courtesy of the artist © Michael Lüder

Auch Sofiia Holubeva thematisierte in ihrer Arbeit Vertreibung und Flucht. Ihr Werk „Denjenigen, die laufen“, das sie zwischen 2020 und 2022 realisierte, erhält durch die russische Militäraggression gegen die Ukraine eine neue, erschütternde Aktualität. Was zunächst als persönliche Auseinandersetzung mit den Fragen „Wohin laufe ich?“ und „Was ist mein Ziel?“ begann, wurde mit dem Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 zu einem gesellschaftlichen Spiegel. Seitdem ist eine erhebliche Anzahl von Ukrainerinnen und Ukrainern vor dem Krieg geflohen, was dem Werk eine kollektive Dimension verleiht.

Yama Rahimi, Kleine Schiffe, 2024, Experimenteller Kurzfilm, 13:00, Courtesy of the artist © Michael Lüder 

Das Fehlen legaler Fluchtwege zwingt viele Menschen dazu, gefährliche und lebensbedrohliche Routen zu wählen. Yama Rahimi widmete sich dieser Realität in seinem experimentellen Kurzfilm „Kleine Boote“. Der Film ist eine Hommage an den Mut der Menschen, die aus der Hoffnungslosigkeit heraus einen neuen Weg suchen. Die symbolischen „kleinen Boote“ stehen für Freiheit, Hoffnung und den unermüdlichen menschlichen Überlebenswillen.

Amer al Akel, Und die Fesseln werden mit Sicherheit Zerbrechen, 2023, Full HD Video, Courtesy of the artist © Michael Lüder

In dem Kurzvideo „Und die Fesseln werden mit Sicherheit zerbrechen“ verarbeitet Amer al Akel seine Auseinandersetzung mit inneren und äußeren Begrenzungen. Inspiriert wurde das Video durch das Gedicht „Der Wille zum Leben“ des tunesischen Dichters Aboul-Qacem Echebbi. Die filmische Umsetzung ist eine kraftvolle Metapher für die Überzeugung, dass jede Form von Fesselung und Beschränkung mit der Zeit überwunden werden kann, auch wenn dies mit großem Mut, Leid und Schmerz verbunden ist. Die zentrale Botschaft lautet: Nichts ist für immer, alles ist vorübergehend.

Polina Shcherbyna, Wann ist die Zeit, Steine zu sammeln?, 2023, Holzbrandmalerei, Schnitzerei auf Schultisch aus der ehemaligen DDR, Courtesy of the artist © Michael Lüder

Die Künstlerin Polina Shcherbyna reflektierte in ihrer Arbeit „Wann ist die Zeit, Steine zu sammeln?“ die heutige Welt als eine apokalyptische Landschaft, in der der Mensch seiner Verantwortung für kommende Generationen nicht gerecht wird. In ihrer künstlerischen Vision stürzen Teile der Welt auf uns herab – verursacht durch menschliches Handeln. Umweltkatastrophen, humanitäre Krisen und Kriege sind das Ergebnis dieser kollektiven Verantwortungslosigkeit. Die „schwersten Brocken“, wie sie es nennt, werden zukünftigen Generationen als Material für den Wiederaufbau der Welt hinterlassen.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr Haus Kunst Mitte Team