HAUSFÜHRUNG #2 am 8. Dezember, 2023
Kunstbetrachtung
Mark Sadlers „Trampant“ in der Ausstellung Zwischen Zwei Orten
Liebe Freund:innen des Haus Kunst Mitte,
in der zweiten Ausgabe unseres Blogs HAUSFÜHRUNGEN widmen wir uns einem eindrucksvollen Werk des Künstlers Mark Sadler, das im Rahmen der Ausstellung Zwischen Zwei Orten – Artist Couple Elín Jakobsdóttir und Mark Sadler im Winter 2023 präsentiert wurde. Aus diesem Anlass stellen wir das großformatige Ölgemälde "Trampant" aus dem Jahr 2018 vor.
Mark Sadler, Trampant, 2018, Oil on Canvas, 180 x 200 cm
Der Titel des Werks Trampant verweist auf die zentrale Figur der Komposition. Im Mittelgrund des Gemäldes war ein Mann zu sehen, der aufrecht sitzt, die Beine gespreizt und die Arme herabhängend am Körper. Sadlers Figuren besaßen oft eine geisterhafte Ausstrahlung, da ihre Körper nur durch kräftige Umrisslinien definiert waren. In vielen seiner Werke verschmolzen Körper und Hintergrund miteinander. Im Fall dieser Figur war im Torso eine Spur von Energie sichtbar, die aus der Wurzelregion, dem Sakralchakra oder dem Solarplexus zu stammen schien. Diese Kraft war verantwortlich für die aufrechte und leicht nach vorn geneigte Haltung des Mannes, während eine andere Figur kraftlos am Boden lag. Die zentrale Figur erschien als Gefäß für eine leuchtend rote Projektion, die aus dem geöffneten Mund strahlte und eine spürbare Spannung im Nacken erzeugte.
Diese rote Farbfläche ließ sich möglicherweise als Ausdruck der Gespräche deuten, die Mark Sadler in den 1990er Jahren in der Rue de Rivoli in Paris mit dieser Figur geführt hatte. Die Frage, wie sich diese Äußerung wohl anhört, blieb offen. Für Sadler waren musikalische, textliche und visuelle Ausdrucksformen eng miteinander verknüpft. Sein Lied mit dem Titel Rue de Rivoli stand in direktem Bezug zu dem Gemälde. Der Refrain lautete: On the Rue de Rivoli, contemplating mystery, you're not afraid of the cold, cold night. On the Rue de Rivoli sitting outside history, I gotta get myself on home now this cold is starting to bite.
Der Titel Trampant war ein Neologismus. Ein Tramp ist ein Obdachloser, jedoch verweist das Suffix -ant nicht auf eine feste Identität, sondern auf einen Zustand oder eine Lebensweise. Sadler wollte damit verdeutlichen, dass es nicht um die Etikettierung eines Menschen geht, sondern um das Verständnis von Lebensrealitäten als aktive Zustände.
Im Werk spielte auch das Konzept der Chakren eine bedeutende Rolle. Das Wort Chakra stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Rad. Chakren gelten in verschiedenen östlichen spirituellen Traditionen wie dem Hinduismus, Buddhismus und Jainismus als zentrale Energiepunkte des menschlichen Körpers, die körperliches, geistiges und spirituelles Wohlbefinden beeinflussen. Die frühesten schriftlichen Erwähnungen dieser Energiezentren finden sich in den Veden, insbesondere in den Upanishaden. Im Gemälde visualisierte Sadler drei dieser Energiezentren farblich: Das Wurzelchakra in Rot als Zentrum für Sicherheit und Erdung, das Sakralchakra in Orange als Sitz von Kreativität und Sinnlichkeit und den Solarplexus in Gelb als Quelle des Selbstwertgefühls und des Egos.
Die dargestellten Szenen spiegelten die Realität urbaner Lebensbedingungen wider. In Städten wie Paris stießen die materiellen Gegebenheiten des freien Marktes auf romantische Vorstellungen. Die Figuren in Sadlers Gemälde nutzten die warme Luft, die aus U-Bahnschächten strömte, um sich zu wärmen, während sie mit Wohnungslosigkeit konfrontiert waren. Ein Metallgitter, das einen Schaufenstereingang schützte, diente ihnen als Schlafstätte. In Sadlers künstlerischer Vision nahm dieses Gitter die Form eines Bleiglasfensters an und erinnerte an die Kirche Sainte-Chapelle, die sich in unmittelbarer Nähe zur Rue de Rivoli auf der Île de la Cité befindet.
Die liegende Figur wurde von Sadler wie ein Sadhu dargestellt, wie er ihn aus Indien kannte. Sadhus sind im Hinduismus heilige Menschen, die dem weltlichen Leben entsagen, materiellen Besitz als Illusion betrachten und auf Almosen angewiesen sind. In dieser Darstellung vereinten sich in Sadlers Werk Entblößung, Autonomie, Armut, Angst, Freude und Erinnerung zu einem komplexen Geflecht menschlicher Existenz.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Haus Kunst Mitte Team