HAUSFÜHRUNG #4, Februar 2024
Einblick in das Gemäldedepot
Manfred Bartling: "Die Jugend geht den Weg der Hoffnung" – Symbolische Malerei mit gesellschaftlichem Tiefgang im Haus Kunst Mitte
Liebe Freund:innen des Haus Kunst Mitte,
für die vierte Ausgabe unserer Blogreihe HAUSFÜHRUNGEN haben wir uns in das Gemäldedepot des Hauses begeben, um ein besonderes Werk von Manfred Bartling, dem verstorbenen Mitbegründer des Haus Kunst Mitte, vorzustellen. Die Auswahl dieses Werkes steht exemplarisch für das sozialkritische und politische Engagement, das Bartlings künstlerisches Schaffen über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg geprägt hat.
Manfred Bartling, Die Jugend geht den Weg der Hoffnung, 1975, Mischtechnik auf Leinwand, 106 x 75 cm, Asyl der Kunst Stiftung
Das Gemälde mit dem Titel „Die Jugend geht den Weg der Hoffnung“ entstand im Jahr 1975 und wurde im Rahmen der Ausstellung Zwischen Zwei Orten im Jahr 2023 im Haus Kunst Mitte gezeigt. In diesem mittelformatigen Werk präsentiert Bartling einen jungen Mann mit schulterlangem schwarzem Haar. Gekleidet ist die Figur in eine locker sitzende Jeanshose und ein weißes Tanktop, unter dem lockiges schwarzes Brusthaar hervorschaut. Auf seiner Brust befindet sich eine leuchtend rote Blume. Der Mann steigt eine rote Treppe hinauf, die sich vor einem tiefdunklen, fast schwarzen Hintergrund in die Höhe erstreckt. Die Szene spielt offensichtlich bei Nacht, was durch die dunkle Farbgebung unterstrichen wird.
Auffällig ist, dass der junge Mann ein Tuch um die Augen gebunden hat. In seiner linken Hand hält er ein grünes Buch eng an seine Brust, während er mit der rechten Hand eine brennende Kerze mit grünem Lichtschein trägt. Dieses Detail ist ebenso ungewöhnlich wie bedeutungsvoll. Der expressive Farbauftrag Bartlings und die Kombination aus abstrakten Farbflächen und präzise gesetzten Pinselstrichen verleihen dem Werk eine starke visuelle Spannung. Der sichtbare Pinselstrich zieht sich als charakteristisches Merkmal durch Bartlings Gesamtwerk und betont das expressive Moment in seinen Kompositionen.
Stilistisch verweist der Haar- und Kleidungsstil des dargestellten Mannes auf die späten 1970er Jahre. Das grüne Buch und die grün leuchtende Kerze deuten auf eine Verbindung zur Umweltbewegung hin, die in dieser Zeit an Bedeutung gewann. Im Januar 1980 wurde in Karlsruhe die Grüne Partei gegründet. Weniger bekannt ist, dass der Künstler Joseph Beuys ein Gründungsmitglied dieser Partei war. Er entwarf ein Wahlplakat und motivierte sogar Andy Warhol, ebenfalls ein Plakat für die Bundestagswahl 1980 zu gestalten, obwohl Warhol keinen direkten Bezug zur deutschen Politik hatte.
Bartlings Gemälde „Die Jugend geht den Weg der Hoffnung“ entfaltet seine Wirkung durch eine Reihe von Widersprüchen und offenen Fragen. Warum beleuchtet der junge Mann seinen Weg mit einer Kerze, wenn er doch nichts sehen kann? Warum ist die Flamme der Kerze grün? Warum führt die Treppe nach oben und ist zugleich rot? Die Kerze als Symbol für Leben, Spiritualität und Vergänglichkeit ist ein häufig wiederkehrendes Motiv in der Kunstgeschichte. In der Farblehre steht Grün für Hoffnung, Ruhe und Naturverbundenheit. Die rote Treppe könnte einen symbolischen Gegensatz darstellen – sie steht möglicherweise für Gefahr, Leidenschaft oder Mühsal.
Der Titel des Werkes liefert einen Deutungshinweis: „Die Jugend geht den Weg der Hoffnung“. Bartling hat nur selten Titel für seine Werke vergeben, umso bedeutender ist diese Wahl. Der junge Mann scheint sich an einem Scheideweg zu befinden. Durch die Binde über seinen Augen schließt er sich von äußeren Einflüssen aus. Seine Orientierung erfolgt nach innen, was auf eine spirituelle Suche oder einen bewussten Akt der Selbstverortung hinweist. Die grüne Kerze beleuchtet nicht nur seinen physischen Weg, sondern könnte auch für eine innere Klarheit oder moralische Orientierung stehen. Der Aufstieg über die rote Treppe ist ein Sinnbild für eine mühsame, aber zielgerichtete Entwicklung. Trotz seiner Einsamkeit und Unsicherheit scheint der junge Mann entschlossen, einen Weg zu wählen, der Hoffnung spendet.
Mit diesem Gemälde demonstrierte Manfred Bartling seine Fähigkeit, gesellschaftspolitische Themen, persönliche Erfahrungen und symbolische Elemente in einer eindrucksvollen Bildsprache zu vereinen. Das Werk ist nicht nur ein Dokument seiner Zeit, sondern auch ein zeitloser Kommentar zur Rolle der Jugend, zur Suche nach Identität und zu den Spannungen zwischen Idealismus und Realität.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Haus Kunst Mitte Team